Sonntag, 12. Februar 2017 | Marokko – Guelmim-Oued Noun, Taghjijt | Petra
EINSAME BERGWELT
UNTERWEGS IN DEN BERGEN MAROKKOS
Immer weiter nach Süden führt uns unsere Marokko-Route. Wir sind hungrig nach weiteren neuen Eindrücken. Den Plage Blanche wollen wir sehen und Bergluft wollen wir auch schnuppern. Aber vorher müssen wir doch noch mal kurz in die Stadt.
WEISSE STADT
Von Agadir, der Touristenhochburg am Atlantik, erwarten wir nicht allzu viel und wollen der Stadt nur einen kurzen Besuch abstatten. Wir brauchen Nachschub für unsere Internetkarte und für unseren Kühlschrank.
Ein köstliches Mittagessen in einem kleinen Restaurant an der Strandpromenade, ein neues blumenbesticktes Kleidchen für mich (Petra) und ein wunderschöner Sonnenuntergang am riesengroßen Sandstrand lassen den Ausflug nach Agadir dann nicht nur praktisch, sondern sogar recht angenehm werden.


SYMPATHISCHE BERBER
Jetzt wollen wir aber raus in die weite Natur. Es gibt kein Halten mehr und wir verlassen Agadir auf der Regionalstraße nach Tafraoute.
Nach etwa 50 km kurven wir auf angenehmen, autofreien Bergstraßen nach oben. Wir cruisen im Gebirgszug des Antiatlas umher, der uns immer wieder herrliche Ausblicke schenkt. Wir fahren vorbei an duftendem Ginster und blühenden Mandelbäumen. Die Berglandschaft wird immer schöner, je weiter wir nach oben kommen. Rotes Felsgestein streckt sich farbenprächtig dem strahlend blauen Himmel entgegen.
Wenn wir gelegentlich unterwegs anderen Menschen zu Fuß, mit dem Auto, auf dem Moped oder im LKW begegnen, ist uns stets ein freundlicher Gruß, ein Lächeln oder der Like-Daumen sicher. So viel spontane Freundlichkeit haben wir nun wirklich nicht erwartet. Wir sind tief beeindruckt.

An der Tioulite Tizourgane, einer hoch aufragenden Speicherburg aus dem 13. Jahrhundert, machen wir am Straßenrand Pause für ein spätes Mittagessen aus unserem eigenen Bordrestaurant. Dabei haben wir viel Zeit die schöne Burg und die Landschaft zu bewundern. Wenn jemand vorbeifährt, hebt er die Hand zum Gruß. Ein Mann auf einem Moped kommt auf uns zugerollt und bleibt neben uns stehen. „Bonjour!“ grüßt er freundlich und fragt: „Labas?“ (Geht’s gut?). Wir antworten: „Labas, alhamdulillah!“ (Gut geht’s, Gott sei’s gedankt!), und er strahlt über das ganze Gesicht. Wir wechseln ein paar Worte auf Französisch und Englisch. Er freut sich, dass es uns in seinem Land gefällt. Mit „Welcome to Morocco!“ verabschiedet er sich wieder und braust winkend davon.
Keine zehn Minuten später hält ein Auto an. Ein Mann steigt aus und spricht Win freundlich an. So lernen wir Ali kennen. Er ist Agrarökonom und unterrichtet Marketing an einer Fachschule in Meknès. Er stammt aus dieser Gegend und erzählt uns ein bisschen darüber. Er meint, wir könnten hier überall mit unserem Truck übernachten und müssten keine Bedenken haben, schließlich seien die Berber freundliche Menschen. Es ist schön mit Ali zu plaudern. Zum Abschied gibt er uns seine Telefonnummer und die Einladung, uns gern bei ihm zu melden, sobald wir in Meknès sind, dann würde er uns ein bisschen was von der Stadt zeigen.
Wir fühlen uns geborgen in dieser freundlichen Willkommen-Atmosphäre und fahren gut gelaunt auf einer kleinen Bergstraße weiter immer höher in das Gebirge hinein. Wir passieren beeindruckende Berge, kleine Siedlungen oder einzelne Häuser. Wir staunen über die unzähligen Terrassenfelder, die bis weit hinauf an den Berghängen kleben. Sie wurden einst mühselig von Menschenhand über viele Generationen geschaffen, um Landwirtschaft in dieser Gegend möglich zu machen. Heute liegen sie brach, zu trocken sind die Böden.
Irgendwann schlagen wir auf einem breiten Platz vor mächtigen Felswänden unser Nachtlager auf. So eine mucksmäuschenstille Nacht wie diese haben wir vermutlich noch nie erlebt. Stille um uns herum und ein Meer leuchtender Sterne über uns. What a night!

BLAUE STEINE
Am nächsten Morgen fahren wir weiter durch diese abwechslungsreiche Berglandschaft vorbei an winkenden, lächelnden Menschen. Beflügelt von der Sonne rollen wir schließlich gut gelaunt in Tafraoute ein. Das alte gemütliche Berberdorf ist bei Touristen sehr beliebt. Das liegt wohl an der bezaubernden Umgebung, die geprägt ist von einer faszinierenden Felslandschaft. Rundgeschliffene Granitsteine von niedlich klein bis riesig groß ergießen sich in spannenden Formationen in die staubige Landschaft. Dazwischen Palmen und zart blühende Mandelbäume, dahinter das hoch aufragende Gebirge des Antiatlas. Bei Sonnenuntergang leuchten die Berge pink und violett – ein fantastisches Farbenspiel.
Ganz in der Nähe soll es bemalte Felsen geben. Die „Les Roches Peints“ schauen wir uns von der Nähe an und klettern ein wenig zwischen den herrlichen Skulpturen der Natur umher. Der belgische Künstler Jean Verame benutzt vorzugsweise die Natur als Leinwand und ließ 1984 die Granitfelsen blau und rosa bemalen. Wir finden: Kann man machen, muss man nicht.

Es ist sehr warm und die Sonne lässt uns ihre Energie deutlich spüren. Anfang Februar fühlt sich hier an wie Frühsommer in Deutschland. Wir genießen die Landschaft und das imposante Felsenspetakel.
Dass uns auch noch eine ausgesprochen imposante Rückfahrt nach Tafraoute bevorsteht, ahnen wir zu diesem Zeitpunkt nicht. Wir fahren nämlich über eine andere Piste wieder in den Ort zurück. Plötzlich staunen wir nicht schlecht, als uns eine hübsche Siedlung den Weg zwar nicht versperrt, aber ziemlich verengt. Ich laufe vor dem Truck her und dirigiere Win durch die Gassen, damit wir auch nirgends hängen bleiben. Die Durchfahrt erweist sich als Zentimeterarbeit und wir kommen passgenau hindurch. Dieses Mal war es nicht die Sonne, die uns ins Schwitzen gebracht hat!
RAUE PISTE
Mit Susanne, Stefan und Matz, dem Feuerwehrauto, sind wir nach einer Woche Abstinenz wieder an der Küste verabredet. Wir wollen gemeinsam eine Offroad-Tour durch das Bergland runter zum Plage Blanche wagen. Treffpunkt ist ein Platz oberhalb einer Bucht etwa sieben Kilometer vor Sidi Ifni. Die Wiedersehensfreude ist groß und so ist es auch nicht schlimm, dass der angedachte farbenfrohe Sonnenuntergang im dichten Küstennebel unsichtbar bleibt. Die Erlebnisse der letzten Tage auszutauschen geht auch prima bei Kerzenlicht im Nebel.
Für die kommenden Tage ist Pistenfahren angesagt. Damit wir in der Einsamkeit der Berge nicht verhungern müssen, sind unsere Lebensmittelläger gut gefüllt.

Am ersten Tag fahren wir sechs Stunden steinige Staubpisten bergauf, bergab, über den Strand, bergauf und wieder bergab. An einer Stelle muss Win im Rückwärtsgang den Berg runter, den wir gerade hochgefahren sind. Mit den breiten Fahrzeugen erscheint uns der vor uns liegende ausgebrochene Pfad als unpassierbar. Ein Paar aus Frankreich, das uns genau da mit seinem Geländemobil entgegenkommt, empfiehlt uns, ein kurzes Stück zurückzufahren und besser die Route über den Strand zu nehmen. Von dort aus ginge es dann wieder hoch in die Berge. Genau so machen wir es dann auch.
Am Strand treffen wir auf eine Gruppe anderer Reiseabenteuerer, mit denen wir einen kurzen Plausch halten, bevor wir uns an die Reifen machen. Wir lassen ordentlich Luft ab, um nicht zwischen Sand und groben Kieselsteinen zu versinken. Ich lasse meinen Blick schweifen und wundere mich über die Werbeschilder an diesem abgelegenen einsamen Stückchen Erde. Das Café-Restaurant Le petite paradis muss sehr klein sein, denn sehen können wir es nicht.
Wir schaffen heute gerade mal 24 Kilometer. Nun geht es beim Pistenfahren weniger darum, möglichst viel Strecke zu machen, als vielmehr möglichst kniffelige Passagen und Hindernisse zu meistern. Jetzt zahlt sich das Offroad-Training im Vorfeld unserer Reise aus. Die Tour ist großartig, spannend und landschaftlich ausgesprochen reizvoll. Fahrzeuge, Fahrer und Beifahrer geben volle Leistung!
Mit größtmöglicher Fassung tragen wir später die Tatsache, dass plötzlich unsere komplette Stromversorgung in der Wohnkabine ausgefallen ist. Kein Licht, keine Heizung, kein Kühlschrank, keine Wasserpumpe funktioniert mehr. Und das mitten im Nirgendwo.
Win und Stefan (und ich auch) grübeln über mögliche Ursachen. Das Ergebnis der Fehlersuche: Wir vertagen das Problem auf morgen. Ich male mir schon mal aus, wie wir künftig ohne Strom agieren werden und bin froh, dass wir einen Gasherd zum Kochen haben. Und das externe Strom-Aggregat gibt es ja auch noch. Unsere Überlebenschancen stehen also gut.
Einen traumhaft schönen Nachtplatz finden wir oberhalb der Klippen. Neben uns grasen mit größter Gelassenheit Dromedare und es ist nur die rauschende Brandung des Ozeans zu hören. Strom haben wir keinen, aber dafür Internet. So sieht Wildnis 2017 aus.
Am nächsten Morgen, nach dem Frühstück, ruht unsere ganze Hoffnung auf Stefan. Denn Win hat zwar das technische Equipment – in diesem Fall einen Multimeter –, aber nur bedingt Ahnung wie es anzuwenden ist. Stefan dagegen, Technik-Held und Ingenieur, hat nicht jeden Schnickschnack dabei, aber dafür den vollen Durchblick bei der Anwendung. Seine Diagnose: Der Batteriewächter ist defekt und lässt keinen Strom mehr ins Netz. Sobald der Motor aber läuft, stellen wir fest, ist auch der Strom wieder da. Das ist prima, denn dann kühlt der Kühlschrank zumindest während der Fahrt weiter. Heute Abend will Stefan den Defekt überbrücken. Jetzt fahren wir aber erst mal ein Stück weiter.
Wir kommen ähnlich zügig voran wie am Vortag. Unterwegs treffen wir in der weiten Einsamkeit auf unseren Freund Uli. Vor einigen Tagen lernten wir ihn in Imsouane bei den Klippen kennen. Immer wieder kreuzen sich unsere Wege und dann tauschen wir freudig Neuigkeiten aus.

Schließlich schaffen wir es nach einer langen Schaukelpartie über steinige Staubpisten und spannende Wege bis an den nördlichen, weniger spektakulären Teil des Plage Blanche. Der Strand ist hier nicht weiß, sondern eher grau-beige und voller dicker Kieselsteine. Auf die weißen Sanddünen im Süden werden wir dieses Mal großzügig verzichten, denn leider spielt das Wetter nicht mehr mit. Es regnet, ist kalt und sehr windig – nicht gerade das perfekte Strandwetter.
Am Abend zaubert Superman Stefan für uns dann tatsächlich wieder Strom her und alles ist gut. Tausend Dank dafür!
Erfüllt von den wunderbaren Erlebnissen der letzten beiden Tage Pistenfahren fallen wir müde in unsere Kissen und freuen uns über den schönsten Strom der Welt. Ein Wunder, dass wir nicht bei voller Beleuchtung schlafen wollen.
Wir können unser großes Glück kaum fassen.


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Danke für die tollen Reiseberichte ,habe den Blog erst jetzt entdeckt und bin fasziniert.
Liebe Grüße
Christl
Danke, liebe Christl, für Deinen schönen Kommentar.
Wir freuen uns, wenn Dir unsere Geschichten gefallen. So soll’s sein!
Liebe Grüße,
Win & Petra
Wieder einmal ein kurzer Business Flug und ein neuer Blog von euch der vom Alltag ablenkt und beim Träumen hilft. Seit unserer letzten Begegnung in den Dolomiten sind wir am Lesen und Recherchieren wie dieser Traum auch unserer werden kann
LG Andrea und Rouven
Liebe Andrea, lieber Rouven,
selbstverständlich nehmen wir die Mühen unserer Reise nur auf uns, um anderer Leute Business-Flüge abwechslungsreicher zu gestalten 🙂
Den Traum habt ihr also schon, dann ist die Ausgangssituation ja großartig, den Rest schafft ihr dann auch noch.
Die Recherche ist Teil der Traum-in-die-Tat-Umsetzung.
Liebe Grüße und bis demnächst,
Win & Petra