Donnerstag, 9. März 2017 | Spanien – Andalusien, Sevilla | Petra
GRENZERFAHRUNG
DIE WELT SIEHT FÜR JEDEN ANDERS AUS
Über eine spannende Begebenheit bei der Einreise in Marokko haben wir bisher geschwiegen. Damals waren wir deshalb ziemlich, nun ja sagen wir, „aufgekratzt“. Sicherheitshalber wollten wir erst darüber berichten, wenn wir wieder zurück auf europäischem Boden sind. You never know …
Als wir im Januar bei der Ankunft in Tanger Med von Bord der Fähre aus Spanien rollen, winkt der nette Beamte im Hafen unser Mobil auf die Seite. Alle anderen Wohnmobile dürfen weiter Richtung Zoll fahren. Unsere Pässe behält er ein.
Die Weltkarte, die einst von Künstlerhand riesengroß auf unsere Wohnkabine gemalt wurde, weckt die Aufmerksamkeit unseres freundlichen Beamten. Nicht aus künstlerischem Interesse, wie wir sogleich erfahren.
Ein grober inhaltlicher Fehler in diesem Weltgemälde aus dem Jahre 2004 ist das Problem. Wir erfahren, Westsahara gebe es nicht, sondern nur ein gesamtes Marokko, also nicht wie auf unserer Karte zwei eigenständige Gebiete. Das darf so nicht bleiben, die Grenze auf der Karte muss weg.

Da die Karte kein Sticker ist, sondern damals richtig von Hand mit Farbe und Pinsel aufgemalt und anschließend mit mehreren Schichten Klarlack solide versiegelt wurde, scheidet für uns „einfach wegmachen“ aus. Gerne wollen wir den Fehler mit einem beigen Klebeband ordentlich überkleben und unsichtbar machen.
Inzwischen haben sich gut neun Beamte, Inspektoren sowie Nicht-, Neben- und Hauptentscheider um unsere Karte versammelt und diskutieren das Problem. Zusätzlich wird viel telefoniert und das Corpus delicti fotografisch festgehalten.
Nein, Überkleben genügt nicht. Wir sollen den Fehler richtig entfernen. Wegkratzen. Auch das Argument, die Karte sei „historisch“ und schon 13 Jahre alt, überzeugt niemanden.
Mein Grafikerhirn läuft auf Hochtouren. „Warum habe ich nur meine Acrylfarben und Pinsel nicht mit auf Reisen genommen? Ich hätte damit wahre Wunder bewirken können. Was habe ich sonst noch parat, das wie Farbe verwendet werden könnte? Nagellack in Rot, Mauve und Schwarz ist in diesem Fall nutzlos“, saust es in meinem Kopf hin und her.

Schließlich stehen Win und ich abwechselnd auf der Leiter und kratzen geduldig mit Skalpell und scharfem Outdoor-Messer die Grenze und die zehn Buchstaben „Westsahara“ mit tiefen Furchen aus dem Lack. Win blutet wegen unsachgemäßer Oberflächenbehandlung das Herz. Aber was hilft’s? Wer reisen will, muss Opfer bringen.
Nach einigen Minuten Schabearbeit sieht es – nach unserem Ermessen – schon ganz passabel aus. Zur Erinnerung: Unsere Reisepässe befinden sind noch in polizeilichem Gewahrsam.
Zur Optimierung werden wir nach kritischer Prüfung durch viele Augenpaare gebeten, nun die hellen Stellen zu kaschieren, die durch das Kratzen entstandenen sind. Ich krame in meiner grafischen Trickkiste und entscheide mich für einen Holzausbesserungsstift in der passenden Farbe Marokko-Braun (draufstehen tut „Kirschbaum“). Weil diese Lasurfarbe zwar wischfest auftrocknet, aber leider nicht wasserfest, akzeptieren die Herren das Ergebnis nicht.
Jetzt kommt also doch mein Nagellack, der farblose Klarlack, aus meinem Beautysortiment ins Spiel. Ich lackiere ganz Marokko und versiegle damit die braune Holzlasurfarbenfläche. Zum Schluss darf ich noch ein zweites MOROCCO schräg über die gesamte Landesfläche schreiben mit meinem schwarzen Permanent-Edding (Ein Geschenk meiner Freundin Barbara aus dem Jahre 2009 – wer hätte das damals gedacht?). Anschließend die erneute Versiegelung mit Nagellack.
WIR SIND GESPANNT
Nochmals Fotos und Telefonate, danach erhalten wir unsere Pässe zurück, Kopien werden behalten. You never know …
Alle Beamten sind sehr freundlich. Man versichert uns, man wolle vermeiden, dass wir wegen einer fehlerhaften Karte im Land Probleme bekämen.
Mit der freundlichen Verabschiedung „Welcome to Morocco and good time“ dürfen wir dann auch direkt weiter zum Zoll. Dort kennt man uns schon, da uns aufgrund unserer Weltkarte ein gewisser Ruf vorausgeeilt ist. Nun erweist sich die eine Stunde Aufenthalt zur Korrektur der Karte sogar als Vorteil. Die Zollabfertigung geht schnell von statten und wir kommen zügig auf die fast leere Autobahn. So erleben wir die ersten Stunden auf dem Kontinent Afrika.
Besonders delikat an dieser Geschichte ist die Tatsache, dass einzig das Königreich Marokko die Auffassung vertritt, die Westsahara existiere ausschließlich unter dem Namen Marokko.
Wikipedia kann die Details etwas präziser erläutern als ich:
Die Westsahara ist ein Territorium, das nach dem Abzug der ehemaligen Kolonialmacht Spanien von Marokko beansprucht und größtenteils annektiert wurde. Marokko betrachtet das Gebiet als Teil seines Territoriums.
Die zu spanischen Kolonialzeiten entstandene, linksgerichtete „Befreiungsfront“ der Sahrauis (der Bevölkerung der Westsahara), die Frente Polisario, kämpft für einen unabhängigen Staat, die Demokratische Arabische Republik Sahara, auf dem gesamten Territorium von Westsahara. Seit dem Waffenstillstand von 1991 kontrolliert die Frente Polisario einen Streifen im Osten und Süden der Westsahara von der Grenze zu Algerien bis zur Atlantikküste.
Die Vereinten Nationen verlangen die Durchführung eines Referendums über den endgültigen völkerrechtlichen Status des Gebietes. Über die Modalitäten der Durchführung eines solchen Referendums konnte bisher keine Einigkeit zwischen Marokko und den Vertretern des sahrauischen Volkes erzielt werden. Haupt-Streitpunkt ist hierbei die Frage, ob bei diesem Referendum auch die Mitglieder saharauischer Stämme, die zu Kolonialzeiten in Südmarokko gelebt haben (bzw. deren Nachkommen), als wahlberechtigte Einheimische gelten sollen (dies entspräche Marokkos Position).
(Quelle: Wikipedia)
Dieses Erlebnis hallt noch lange in uns nach. Wir hätten nie damit gerechnet, wegen eines grafischen Deliktes einmal so in die Mangel genommen zu werden. Nicht einmal in Kroatien wurden wir jemals darauf angesprochen, dass auf unserer Karte noch Jugoslawien geschrieben steht.
Australien ist auf unserer Karte zur Hälfte abgeschnitten, Neuseeland fehlt komplett und Russland fiel unserem Wohnzimmerfenster zum Opfer …
Wie wir unsere Karte für die Zukunft weltverträglich gestalten können, darüber denken wir noch nach.
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Die „Zöllner“ lachen sich sicherlich noch heute schief über diese Kratzaktion !?
Nur Europäer machen so einen Mist mit.
Wenn es nicht mit Weltkarte geht, würde ich das Land sofort wieder verlassen.
Hallo Thomas,
nach Lachen haben die Zöllner allesamt nicht ausgesehen, es wirkte eher wie ein hochbrisantes Politikum.
Die Weltkarte an sich war für die Herren völlig in Ordnung, das Problem lag ausschließlich bei der Grenzlinie zur Westsahara und dem Wort Westsahara.
Am Ende war ja alles gut und Marokko hat uns sehr gut gefallen.
Gruß,
Petra
Hallo ihr zwei, ich sag jetzt einfach mal du, dass macht man ja so unter Reisenden
Wow Marocco, da werden Erinnerungen wach. Gute und wie bei euch auch mal nicht so gute (die schöne Landkarte ) Ein Freund und ich waren damals 2013 mit dem Motorrad unterwegs und es war ein Erlebnis von dem man lange etwas hat. Wir (Sonja und ich) verfolgen euch schon eine ganze Weile. Es ist immer wieder schön eine neue “ Reise “ mit zu erleben und unseren Traum von einer Weltreise weiter Träumen zu lassen. Wir sind ja auch ab und zu mal unterwegs und halten das ganze fest. Wenn Ihr Lust habt schaut doch einfach mal vorbei bei http://www.felds.de .
Wir freuen uns schon auf nächsten Beitrag von euch.
Eine gute Reise und immer gut Luft in den Reifen.
Gruß aus Franken
Sonja und Henryk (MAN)
Hallo Sonja, hallo Henryk,
über euren Kommentar freuen wir uns sehr und sagen vielen Dank dafür. Ihr beide ward in Island als wir uns in Marokko herumgetrieben haben, völlig entgegengesetzt und trotzdem in einer gemeinsamen Sache unterwegs – Welt erkunden. Super!
Bei euch war es bestimmt richtig kalt und bei uns meistens flauschig warm. Nach dem ersten Landkarten-Schreck hat uns Marokko voll und ganz in seinen Bann gezogen. Es war herrlich und die Wüste hat uns am meisten beeindruckt. Wunderschön ist es da!
Die Bilder auf eurer tollen Webseite machen richtig Lust auf Island, das auch auf unserer Reisewunschliste steht. Wir wissen nur noch nicht, wann.
Wir wünschen euch beiden auch nur das Beste und gute Reise.
Man sieht sich!
Herzliche Grüße in die Heimat,
Win & Petra
Hallo
Yep das ihr nicht die einzigen seit ist die aufgefordert wurden landkarten am fahrzeug zu andern, uebermalen etc.
ZB. http://www.reisevirus. die hatten das problem in China.
Wir erwarten issues mit meiner frau ihrem ausweiss da sie eine Sud Afrikanischen Ausweis hat und SA vehement fuer ein freies West Sahara ist.Freiheitskaempfer (Polisario, ANC etc) sind sich immer einig- auf eine oder ander art..
Weiterhin noch viel spass looking forward to more tales and stories! Hamba kahle & totsiens
Danke T&J für deine Nachricht. Ja, Geschichten zu nicht „korrekten“ Landkarten haben schon einige erlebt. Mit der Situation um die Westsahara hatten wir uns vorher nicht genauer beschäftigt, jetzt wissen wir mehr darüber.
Ein Grenzübertritt kann wegen so etwas oder der Staatsangehörigkeit, wie bei deiner Frau, recht spannend werden. Darum wünschen wir euch und allen Reisenden, dass es immer gut läuft – toi, toi, toi!
Alles Gute und liebe Grüße,
Win & Petra
Hallo Petra und Win,
ich glaube die Beamten an diesem Grenzübergang sind etwas speziell. Vor ca. 12 Jahren sind wir dort mit Fahrrädern eingereist. Wir wurden von einem Beamten am Lenker an der gesamten Schlange vorbei geschleust, oder auch gezogen. Anschließend wurden wir „gebeten“ (die Maschinenpistole sehr präsent) für die Dienstleistung doch direkt zu zahlen. Am besten natürlich mit Euro.
Euch noch eine gute Reise mit vielen interessanten Erlebnissen.
André
Hallo André,
da kommen ja die tollsten Geschichten zum Vorschein!
Zum Glück wollte niemand Geld von uns. Die Beamten waren auch stets freundlich zu uns, das muss ich doch nochmal betonen.
Es scheint sich hinsichtlich geldinteressierter Polizei in Marokko viel zum Besseren geändert zu haben in den letzten Jahren. Wir wurden während unserer sieben Wochen nie angehauen. Die Polizei war stets korrekt, freundlich und hilfsbereit. (Gut, wir waren natürlich auch sehr brav 🙂 )
Wir senden liebe Grüße,
Win & Petra
Hallo Petra und Win, das war ja eine spannende Geschichte – danke für die 3 Mails. im Nachhinein kann man darüber etwas schmunzeln, aber am “ Tatort “ denkt man da sicher anders. Und Petra – die Finger sind nach den umfangreichen Schilderungen noch in Ordnung ? In dem Allerweltsladen habe ich doch eine kleine Ablage ( für s Geld wahrscheinlich ) gesehen, aufgedruckt mit OMO. Dieses Waschmittel gab es oder gibt es ja noch.
Ein paar Bilder habe ich mir wieder “ geklaut „, kann da doch ab und zu in Afrika rumfahren.
ALLES GUTE weiterhin – Günter
Hallo Günter, du treue Seele,
du hast total recht, danach konnten wir über die Situation bei der Einreise schmunzeln. Währenddessen war uns ziemlich mulmig zumute. Es hat nicht mehr viel gefehlt und Win hätte auf dem Absatz wieder kehrt gemacht. Mit etwas Abstand bleibt es als Anekdote unserer Reise in Erinnerung.
Das Waschmittel OMO ist in Marokko tatsächlich erhältlich, meist in großen Säcken aus Plastik. Als ich mal in einem Krämerladen am Eingang stand stieg mir sofort ein bekannter Waschmittelduft in die Nase – natürlich OMO!
Und eines ist eh klar: Unsere Bilder sind auch deine Bilder, Günter 🙂
Liebe Grüße von
Petra & Win