Dienstag, 28. Juni 2016 | Japan – Honshū | Win & Petra
IM LAND DES LÄCHELNS
JAPAN IST SO FASZINIEREND UNGEWÖHNLICH
Schon seit vielen Jahren wünsche ich (Petra) mir, einmal Japan zu bereisen. Vermutlich sind es die Erzählungen über bezaubernde Geishas, geheimnisvolle Teezeremonien und malerische Gärten, die meine Fantasie beflügeln und mich neugierig machen auf diese Insel im Pazifik.
Ende Mai ist es endlich so weit und Win und ich fliegen mit dem Flugzeug nach Osaka. Von dort aus starten wir unsere Rundreise und lassen uns auf der Hauptinsel Honshū über Kyoto, Nara, Kanazawa und Takayama bis nach Tokio treiben. Wir räumen uns knapp drei Wochen Zeit ein, um von diesem außergewöhnlichen Land wenigstens eine erste Idee zu bekommen und um den höchsten Berg Japans, den Vulkan Fuji, zu sehen.
Um es gleich vorweg zu nehmen: Unsere großen Erwartungen werden mehr als erfüllt – einschließlich Fujisan. Wir lernen ein Land kennen, das uns mit viel Freundlichkeit, reicher Tradition, großer Modernität und jeder Menge Besonderheiten beschenkt. Wir sind schlichtweg überwältigt!
Was uns am meisten beeindruckt, möchtest du wissen? Das können wir so einfach gar nicht beantworten, weil es so vieles gibt, das uns imponiert. Sei es der respektvolle Umgang miteinander, die Höflichkeit und Hilfsbereitschaft der Menschen, die pünktlichen Züge, die köstlichen Speisen, die herrlichen Landschaften, die zierlichen Japanerinnen in eleganten Kimonos, die extreme Sauberkeit oder die Angewohnheit, oft und heiß zu baden. Japan ist ganz großes Kino für alle Sinne.
ALLES SIEHT SO ANDERS AUS
Anfangs dürfen sich unsere Augen erst einmal an die eher unscheinbare Architektur von Büro- oder Wohnhäusern gewöhnen, ein unspektakuläres Farbenspiel in Weiß, Beige, Grau und Braun. Das sommerlich schwülwarme Klima im Juni mit tagsüber oftmals 26 °C, Regen und Wolkendunst am Himmel unterstreicht mit seinem milchigen Licht die Farblosigkeit von Wohnhäusern und Straßen.
Überall begegnet uns eine schlichte, klare Formensprache, im Restaurant ebenso wie in den Gastzimmern unserer Ryokans (traditionelle japanische Gasthäuser) oder in den Geschäften. Allenfalls die schrillen Leuchtreklamen in den Shopping- und Vergnügungsvierteln von Osaka, Kyoto oder Tokio hauen ordentlich auf den Putz. Ansonsten sind Prunk und Zurschaustellung offenbar kein japanisches Bestreben. Und doch, bei Porzellan, Bildern, Gartenanlagen, auf Kimonostoffen, bei Schreinen und Tempeln finden wir prächtige Farbigkeit und schmückendes Beiwerk, nie zu dick aufgetragen und immer geschmackvoll.

Wie Perlen auf einer Kette reihen sich am Fluss Asanogawa in Kanazawa feine Restaurants aneinander
Schnörkellos lautet also die Devise, sofern es sich nicht um Geishas, kulinarische Köstlichkeiten oder traditionelle Kimonos handelt. Anders als in der Architektur leben die Japaner hier eine faszinierende Liebe zum Detail aus. Da werden filigrane Haarnadeln und Klämmerchen für Geishafrisuren sorgfältig in liebevoll genähten Mäppchen aufbewahrt. Beim japanischen Menü umschmeichelt eine Vielzahl bunter Schälchen und Tellerchen den Gast, jeder noch so kleine Happen ist aufwändig arrangiert. Und das Anziehen eines festlichen Kimonos mit all seinen Zubehörteilen kann durchaus ein bis zwei Stunden dauern (vorherige Badezeremonie und Schminken nicht eingerechnet).
GEHEIMNISVOLLE SCHÖNE
Einmal in Kyoto begegnen wir im renommierten Geisha-Viertel Gion am Abend tatsächlich einer wahrhaft echten Geisha (Person der Künste). Gehüllt in einen prachtvollen Seidenkimono tippelt sie auf ihren Geta (Holzsandalen mit hohen Sohlen) von einem Termin im Teehaus nach Hause und schlüpft blitzschnell durch die Schiebetür ihres Geisha-Hauses. Ich bin so beeindruckt und voller Ehrfurcht, dass es mir nicht gelingt, ein Foto zu machen. Dieser Moment ist einfach zu besonders und für mich unvergesslich (… wahrscheinlich pure Mädchenträumerei).
In Gion nennt man die Geishas übrigens „Geikos“, was so viel heißt wie „Frauen der Kunst“. Sie sind auf keinen Fall, wie oftmals irrtümlich angenommen, exklusive Prostituierte. Vielmehr sind diese angesehenen jungen Frauen Unterhaltungskünstlerinnen, die eine intensive Ausbildung genossen haben in traditionellen Künsten wie Tanz, Gesang, Rezitieren von Haikus, Ikebana und Kalligrafie. Sie werden von ihren zumeist betuchten Kunden gebucht zur Unterhaltung im Teehaus oder im japanischen Lokal.

Ausgesprochen beliebt bei ausländischen Touristinnen: ein komplettes Geisha-Outfit samt Fotosession mieten
HOTEL IST NICHT GLEICH HOTEL
Es ist auch die wunderschöne Stadt Kyoto, in der wir uns in unserem ersten Ryokan einquartieren. So ein traditionelles japanisches Hotel ist einfach ein Muss während einer Japanreise, weil es eine typisch japanische und zudem außergewöhnliche Erfahrung ist.
Viel haben wir vorher schon darüber gelesen und verstanden, dass es bestimmte Regeln gibt – wie so oft in Japan –, die für Europäer sehr ungewohnt sein können. Das fängt beim Ausziehen der Straßenschuhe am Eingang an, geht über das Tragen der bequemen Yukata (Baumwollkimono) während des gesamten Aufenthalts und hört vermutlich nicht auf beim langen Sitzen am Boden auf Tatamimatten während des mehrgängigen Menüs am Abend und zum Frühstück.
Wir fühlen uns auf angenehme Weise in eine andere Welt entführt und staunen über die Hingabe, mit der wir gehegt und gepflegt werden. Fern von Trubel und Anstrengung besteht unsere Aufgabe einzig darin, Erholung zu finden.
Die kleine Holzwanne im Badezimmer erwartet uns mit heißem Wasser bis an den Rand, damit wir vor dem Essen zur Entspannung ein ausgiebiges Bad nehmen. Das heiße Bad, in der Regel gern 40 Grad und heißer, ist ein tägliches Ritual in japanischen Familien. Nacheinander baden die Familienmitglieder im gleichen Wasser, das zwischen den einzelnen Badenden nicht ausgewechselt wird. Deshalb ist es sehr wichtig, sich vorher gründlich mit reichlich Seifenschaum außerhalb der Wanne zu reinigen und mit klarem Wasser wieder abzuspülen. Kein Seifenrest darf in das Badewasser gelangen, das würde als unhygienisch empfunden werden.
Nach dem Bad serviert uns Saya formvollendet, kniend und mit vielen Verbeugungen das Abendessen in unserem Zimmer, in mehreren Gängen, aufwändig zubereitet und kunstvoll angerichtet. Ihr seidiger Kimono raschelt über die Tatamimatten und jeden Gang, den sie serviert, begleitet sie mit Erläuterungen zu den ausgefallenen Speisen.
Meine Frauen-Seele wird unruhig bei der Erkenntnis, dass mein Mann zuerst bedient wird. In Japan ist das üblich, „Ladies first“ gibt es hier nicht. Den Topf mit Reis und die Kanne mit Tee zum Nachschenken bekomme demnach auch ich an den Platz gestellt, denn selbstverständlich bin ich es als Frau, die den Mann bedient und nicht umgekehrt. Win genießt es sichtlich und ich bemühe mich um Gelassenheit. Das herrliche Essen ist ein Gaumen- und ein Augenschmaus zugleich, so dass ich augenblicklich versöhnt bin mit der neuen Rangordnung.
Auch, dass Win im Zimmer vor der Tokonoma sitzt, der traditionellen Schmucknische mit dem schönen Rollbild, ist perfekt. Denn stets sitzt die wichtigste Person im Raum (Win) dieser Nische am nächsten und idealerweise vor dem Rollbild, damit das Gesamtkunstwerk vollkommen ist. Meine Wenigkeit kommt so zu dem Genuss, es den Abend über ansehen zu dürfen. Da spielt es auch keine Rolle, dass Win voller Stolz die Yukata für die Frau und ich die für den Mann trage. Erst als ich Saya direkt frage, ob wir uns schön gekleidet hätten, klärt sie uns mit einem charmanten Lächeln und großzügiger Nonchalant über unseren Fauxpas auf.
Das alles ist zwar eine bedeutungsvolle, aber beileibe keine spaßfreie Veranstaltung. Mit Saya lachen wir viel und sie ist sichtlich amüsiert, wenn wir unsicher fragen, ob das sorgfältig um die Garnele drapierte Laubblatt mitgegessen wird oder nicht. Ja, so läuft das hier im Land der aufgehenden Sonne.
ES GEHT VORAN
Wir fahren auf unserer Tour mit S-Bahnen und Schnellzügen der JR-Linie, nutzen Stadt- und Überlandbusse und lassen uns mit der U-Bahn in Millionenstädten wie Osaka und Tokio von A nach B bringen. Wir sind angenehm überrascht, wie geordnet und übersichtlich alles von statten geht und wie leicht wir uns zurechtfinden.
Selbst die Fahrt mit dem Mietwagen bei Linksverkehr von Nagoya nach Kawaguchiko zu den fünf Fuji-Seen (am nördlichen Fuß des Fuji in der Präfektur Yamanashi) und wieder zurück gelingt uns so gut, dass wir es im Nachhinein bereuen, mit dem Mietwagen nicht doch weiter nach Tokio gefahren zu sein. Zu groß war unser Respekt vor dieser 9-Millionen-Stadt und der dortigen Verkehrssituation. Dabei hatten wir uns schnell mit unserem Navigationssystem angefreundet, das uns stets präzise zu unseren Fahrtzielen navigierte und uns sicher auch in Tokio ans Ziel gebracht hätte. Wie dem auch sei, so kommen wir dafür in den Genuss, mal mit dem berühmten Shinkansen Hochgeschwindigkeit von Nagoya nach Tokio zu fahren. Ob wir die 300 km/h auch erreichen – wer weiß?
Immer wieder fragen wir uns, ob wir Japan auch mit unserem Truck bereisen könnten. Ja und nein. Die Autobahnen und Bundesstraßen sind groß wie bei uns und natürlich rollen auch hier 40-Tonner über den Asphalt. Dennoch haben wir den Eindruck, unser Truck wäre zu groß und zu laut für dieses Land. Der Verkehr klingt irgendwie leiser als bei uns, die meisten Autos sind deutlich kleiner und die Landstraßen wirken auch schmaler und zierlicher als sie unser Truck vertragen könnte. Beim Blick auf die üppig gehaltenen Oberleitungen zweifeln wir des öfteren daran, ob wir mit unserem Truck darunter durchpassen würden.
DO YOU SPEAK ENGLISH
Wenn es um das Reiseziel Japan geht, fürchten viele Europäer häufig die Sprachbarriere, denn mit Englisch käme man ja wohl nicht sehr weit, heißt es immer wieder. Vor sechs Jahre hatte ich auch aus dieser Überlegung heraus begonnen Japanisch zu lernen und mir in eineinhalb Jahren schon einen ordentlichen Wortschatz aufgebaut (theoretisch!).
Dummerweise hörte ich damit auf und behielt nur noch ein paar, aber wenigstens recht nützliche Formulierungen in Erinnerung. Wenn wir also das Essen loben mit „Oishii desu.“ (おいしいです。– Das schmeckt sehr gut.), dann sind uns immer ein strahlendes Lächeln, mehrfache Verbeugung und ein freudiges „Ohhh – Arigatou gozaimashta.“ sicher.
Allen Unkenrufen zum Trotz kommen wir mit Englisch überall sehr gut zurecht. Ein freundliches Lächeln und „Sumimasen“ (すみません。– Entschuldigen Sie bitte.) helfen weiter, wenn Englisch ausnahmsweise doch nicht funktioniert, wie einmal beim Tanken in der ländlichen Region am Kawaguchi-See. In Japan darfst du immer auf die Freundlichkeit seiner Bewohner vertrauen, die sehr hilfsbereit und stets darauf bedacht sind, dass sich der andere wohlfühlt. Das macht es leicht. Überhaupt ist Reisen in Japan eine der einfachsten Sachen der Welt.
Bei den vielen Sehenswürdigkeiten, die wir in Kyoto, Nara oder Kanazawa besichtigen, treffen wir immer auch auf Schulklassen aller Altersgruppen. Ordentlich gekleidet in unterschiedliche Schuluniformen, den Rucksack beinah bis zu den Kniekehlen hängend, sind sie in Sachen kultureller Bildung unterwegs. Häufig werden wir von jüngeren Schülern und Schülerinnen angesprochen, die in kleinen Teams offenbar dem schulischen Auftrag folgen, Englischsprechen zu üben, indem sie Touristen höflich befragen: „Excuse me. My name is Akira. Would you please answer some questions? Where do you come from? Which food did you try in Japan? … Thank you very much. Have a nice day!“ Dabei stellt jeder aus der Gruppe eine Frage, damit wirklich auch alle fleißig üben.
Win und ich haben viel Spaß damit und amüsieren uns über den Eifer und die Ernsthaftigkeit, mit der die Kinder den Mut fassen, fremde Menschen anzusprechen. Irgendwann fasse auch ich den Mut und spreche im Gegenzug die Kinder auf Japanisch an, frage sie nach ihren Namen und freue mich wie ein kleines Mädchen, dass ich mich auch mal was ganz Verrücktes getraut habe. Bestimmt bringt mir das über kurz oder lang ein Fleißbildchen ein.
Im Nachhinein erfahren wir, dass japanische Schulen Englisch zwar schon seit vielen Jahren auf dem Lehrplan haben, der Schwerpunkt jedoch bislang auf literarischer Bildung lag und weniger auf der Anwendung der Alltagssprache. Dies ändert sich gerade und zeigt sich in eben solchen Schulkindern, die mit ausländischen Besuchern aktiv Englisch üben.
NAHRUNG FÜR KÖRPER UND GEIST
Um Japan auch kulinarisch genießen zu können, ist es hilfreich Fisch und Reis zu mögen. Reis wird praktisch immer gegessen, zum Frühstück, als Zwischenmahlzeit, zu den Hauptmahlzeiten und sogar als Süßigkeit, wie Daifuku oder Mochi. Und Fisch gibt es vermutlich am zweithäufigsten.
Wir lieben gutes Essen – Win ganz besonders – und so probieren wir alles aus. Auch das deftige japanische Frühstück mit verschiedenem Fisch, gebraten oder geräuchert, mit Ei in allerlei uns unbekannten Varianten und eingelegtem Gemüse gefällt uns sehr. (Wenngleich ich mich nach ein paar Tagen auch mal wieder auf einen schönen westlichen Toast mit Marmelade freue.)
In Nara finden wir zufällig den besten und noch dazu schnellsten Mochi-Maker weit und breit, wie die vielen Auszeichnungen belegen. Die leckeren Reiskuchen mit Azukibohnenfüllung sind unser Favorit, wenn es um Süßes geht, und Grüntee-Softeis sowieso. (So werden Mochi in Nara gemacht)

Frische Mochi, lauwarmer Reiskuchen, zubereitet vom schnellsten Mochi-Klopfer in Nara
Alles, was wir in Japan essen, ob Fisch oder Fleisch, Suppe oder Süßigkeit, es schmeckt uns köstlich. Und zwar unabhängig davon, ob wir in einem eleganten Restaurant speisen oder für umgerechnet fünf Euro eine Ramen-Suppe in einem einfachen Ramen-Laden schlürfen.
Einzig Nattō – aus fermentierten Sojabohnen, schleimig und mit einem ausgesprochen strengen Geruch – findet nicht unseren Zuspruch, anerkanntes Superfood hin oder her. Dagegen geraten wir bei dem Gedanken an Hida Beef aus Takayama augenblicklich ins Schwärmen. Noch nie zuvor haben wir so ein feines, samtweiches Fleisch gekostet wie dieses – roh, versteht sich.
Und noch nie zuvor haben wir so viele buddhistische Tempel und Shintō-Schreine besucht wie hier. Jeder ist auf seine Weise ein Meisterwerk und wunderschön.
In Nara nehmen Win und ich unser Schicksal beherzt selbst in die Hand und kaufen bei einem Schrein-Besuch ein Ema. Auf dieses Holztäfelchen schreiben wir unsere Wünsche für die Zukunft und hängen das Täfelchen ordnungsgemäß an den Holzpavillon des Reinigungsbeckens für die rituelle Reinigung. Wenn irgendwann kein Platz mehr für weitere Täfelchen ist, werden die vorhandenen Ema mit einem feierlichen Feuer verbrannt, so dass die unzähligen Wünsche als schicksalsträchtiger Rauch in den Himmel aufsteigen können. Wenn das nicht hilft, was dann?
Was wir nicht ausprobieren sind Omikuji, das übersetzt so viel wie Lotterie-Orakel bedeutet. Diese weißen, zusammengerollten Papierstreifen sind mit einer Wahrsagung beschriftet, und man schüttelt sie zum Beispiel aus einer Box oder zieht sie aus einem kleinen Regal. Sie können günstige, aber auch unerfreuliche Wahrsagungen enthalten. Bei einer schlechten Voraussage lässt sich das Unheil abwenden, indem man das Omikuji zusammenfaltet und an eine Kiefer beim Tempel knotet. Ein segensreiches Omikuji nimmt man selbstverständlich mit.
WELTKULTURERBE ERLEBEN
Einmal fahren wir mit dem Überlandbus von Kanazawa aus nach Shirakawa-gō, genauer nach Ogimachi in Shirakawa, einem malerischen Dorf in der Region Tōkai-Hokuriku in den Japanischen Alpen. 1995 wurde dieser nach wie vor bewohnte Ort von der UNESCO als Weltkulturerbe anerkannt. Sein einmaliger Baustil, Gasshō-zukuri, macht diesen Ort so sehenswert. Strohgedeckte, bis zu 60 Grad steile Dächer, die an zum Gebet gefaltete Hände erinnern, sind die Besonderheit seiner Häuser.
Wörtlich bedeutet Shirakawa-gō so viel wie „Dorf weißer Fluss“. Spätestens sobald du am Dorfende den Aufstieg auf eine nahegelegene Anhöhe gemacht hast und deinen Blick über das Dorf schweifen lässt, erscheint dir der Name als der einzig passende (siehe Foto).
Wir haben den Eindruck mitten im Schwarzwald gelandet zu sein, so vertraut ist uns der Anblick dieses Ortes. Lediglich die Reisfelder machen einen deutlichen Unterschied, und die typisch japanische Bauweise mit Shōji, den Schiebetüren mit Sprossenkonstruktion und Papier.

Reisfeld statt Getreideacker
Ein weiteres Weltkulturerbe erwartet uns am Kawaguchi-See, einem der Fünf Fuji-Seen in der Nähe des Berg Fuji. In Fujikawaguchiko wohnen wir in einem Ryokan, von dessen Zimmern aus wir den Fuji sehen können – so steht es in der Hotelbeschreibung.
Bei unserer Ankunft und in den beiden folgenden Tagen zeigt sich dieser 3.776 Meter hohe Vulkanberg von seiner gewohnt scheuen Seite, nämlich gar nicht. Stattdessen versteckt er sich hinter einer dicken Wolkenwand und wir können nur glauben, dass er sehr nah ist.
Wenn wir Fuji (sprich: Fuschi, nicht: Futtschi) schon nicht „in echt“ sehen können, dann lassen wir uns wenigstens im örtlichen Kunstmuseum von Kawaguchiko von seiner sagenhaften Schönheit verzaubern. Seit 2013 ist er schließlich Teil des Weltkulturerbes und wir weigern uns zu akzeptieren, dass er sich versteckt, während wir vor Ort sind.
Am dritten Tag erwache ich morgens schon um fünf Uhr, einfach so. Mein erster Gedanke, ob der Fujisan wohl zu sehen sei, lässt mich aus dem Bett hüpfen. Und siehe da: im zarten Morgenlicht zeigt er sich in seiner ganzen Pracht. Ich bin völlig aus dem Häuschen und wecke ganz aufgeregt Win, damit er auch in den Genuss dieses einmaligen Anblicks kommt. Wir freuen uns – morgens um fünf! – als hätten wir Weihnachten, Geburtstag und Lottogewinn gleichzeitig. Der ganze Zauber dauert dann auch nur zwei, drei Minuten und Fujisan versteckt sich wieder hinter seinen Wolken.
Da wir nun schon wach sind, setzen wir uns gleich wieder in den heißen Onsen auf unserem Balkon und freuen uns darüber, Ihn wenigstens ein paar Minuten gesehen zu haben. Was für ein Glück! Zu diesem Zeitpunkt ahnen wir noch nicht, dass er am kommenden Tag stundenlang zu sehen sein wird …

Der sagenhaft schöne Anblick des Fujisan
WIR STAUNEN NICHT SCHLECHT
Aha-Erlebnisse haben wir mehr oder weniger im Minutentakt und in den unterschiedlichsten Situationen.
• Es fasziniert uns, dass sich der Bahnmitarbeiter im Zug freundlich und mit einem Lächeln bei uns bedankt, wenn er unsere Sitzplatzkarte abknipst und sich noch einmal zu den Fahrgästen umdreht bevor er des Zugabteil mit einer Verbeugung und einem Gruß verlässt. Überhaupt legt man in Japan auf das respektvolle Verbeugen bei der Begrüßung oder Verabschiedung, das unzählige „Sumimasen.“ (すみません。– Entschuldigen Sie bitte.) und „Arigatou gozaimasu.“ (ありがとうございます。– Vielen Dank!) größten Wert.
• Reinlichkeit hat ebenfalls höchste Priorität. Überall wird gefegt oder mit Wasser der Weg gesäubert. Die Straßen sind überirdisch rein und der Besen könnte beinahe als Wahrzeichen Japans herhalten.
Wir haben auch noch nie so saubere Zugwagons oder U-Bahnen gesehen wie hier. Der Boden spiegelt, kein Fitzelchen Papier, kein Kaugummi, keine Brandstellen oder Schmierereien – nix außer Sauberkeit. Und dabei spielt es keine Rolle wie alt der Zug ist. Die Polster mögen durch den langen Gebrauch abgenutzt sein, sind jedoch niemals verschmutzt oder schmuddelig.
• Sogar der Gang zur Toilette wird zum Erlebnis, wenn wir statt der durchaus üblichen Hocktoiletten auf die ebenso üblichen Hightechtoiletten stoßen, die mit Bewegungsmelder für die automatische Deckelöffnung, beheiztem Sitz, warmer Pospülung und -trocknung sowie elektronischem Wassergeräusch aufwarten, um unerwünschte Nebengeräusche zu überspielen.
• Baden bekommt für uns eine neue Dimension. Ein Bad in heißem Thermalwasser (Onsen) ist der pure Genuss und in Japan so üblich wie das tägliche Zähneputzen. Morgens vor dem Frühstück, nachmittags nach dem Ausflug und abends vor dem Abendessen oder nachts vor dem Zubettgehen – wir baden was das Zeug hält und genießen die totale Entspannung.
• Alltägliche Arbeiten, wie das Absichern einer Baustelle zum Beispiel, werden mit größter Sorgfalt ausgeführt. Der Sicherungsposten an der Baustelle scheint seine Aufgabe voller Stolz zu erfüllen. Egal wie oft der Kollege vom Bau mit seiner befüllten Schubkarre vorbeikommt, man verbeugt sich und er wird vom Sicherungsposten mit größter Umsicht zur Abladestelle geleitet. Keiner wird gefährdet, nicht der Mann mit dem Schubkarren, kein Passant und kein Fahrzeug.
• Beim Taxifahren bitte nicht wundern, denn weder öffnet noch schließt der Fahrgast die Wagentür selbst. Das geschieht einzig und allein per Fernbedienung durch den Fahrer und zwar immer zur Gehsteigseite hin – aus Sicherheitsgründen.
• Überhaupt spielt Sicherheit in Japan eine große Rolle, wie wir selbst täglich erleben. Wir fühlen uns immer und in jeder Situation sicher, wissen, dass uns niemand über den Tisch zieht oder unsere Unwissenheit ausnützt. Es wird nicht gefeilscht und nicht getäuscht und über unsere Habseligkeiten müssen wir uns keine Gedanken machen. Auch sowas fühlt sich gut an.
• So höflich und geordnet wir Japan im Alltag wahrnehmen, so schräg erscheinen uns einige Vorlieben, wie die bewusst kindlichen Quietschestimmchen mancher junger Frauen, die extrem lauten Spielhöllen mit Computerspielen oder die putzigen Manga-Outfits junger Mädchen auf Tokios Straßen. Kawaii – wie süüüß!
• Automaten sind bei Japanern sehr beliebt. Es gibt Automaten für Softdrinks wirklich an jeder Ecke und überall. Von stillem Wasser über Grüntee-Mix und Fruchtsaft bis hin zu diversen kalten Coffeedrinks mit oder ohne Zucker ist per Knopfdruck stets alles verfügbar. Auch Zeitungen, Coupons für die Nudelsuppe, Horoskope oder bunte Sammelfiguren – alles gibt’s automatisch.
• Der Tsukiji Fischmarkt ist der wohl berühmteste Fischmarkt der Welt und in jedem Fall ein beeindruckendes Erlebnis. Ende 2016 wird er seinen angestammten Platz in der Innenstadt Tokios verlassen und in ein neues, moderneres Areal in der Bucht von Tokio umziehen. Mal sehen, was dann aus dem spannenden Publikumsmagneten wird …
• In Tokio gibt es das kleine Kneipenviertel Golden Gai mit schmalen Gässchen und Kneipen, die so winzig sind, dass sie gerade mal für fünf Gäste und den Barkeeper Platz bieten. Stehplätze gibt es nicht, Sitzen ist Pflicht und nicht in allen Kneipen sind hier Fremde erwünscht. Da heißt es dann „Members only“, um Platz für Stammgäste freizuhalten.
• Auch das Thema Gullideckel findet in Japan besondere Beachtung und unterliegt ästhetischen Anforderungen, so dass jede Stadt ein eigenes Gullideckeldesign hat. Unserer Freundin Tina haben wir es zu verdanken, dass wir unser Augenmerk in Japan auf den Boden lenken und tatsächlich von Osaka bis Tokio die unterschiedlichsten Gullideckelmotive entdecken. Da freut sich das Designerherz.
Wir könnten noch endlos weitererzählen, belassen es aber heute mal bei dem, was hier steht. Sayonara!

Japan, das Land der Details – wie die schön gestalteten Gullideckel verschiedener Städte in Japan zeigen. Gib mal bei Google Bilder „Gullideckel Japan“ ein
DAS SAGT PETRA ÜBER JAPAN
«Da will ich wieder hin! Ich finde Japan faszinierend, befremdlich, ästhetisch, widersprüchlich, wunderbar – schlichtweg einzigartig. Ich staune mit offenem Mund selbst im Nachhinein. Mir erscheint es als hätten wir in den letzten Wochen ein riesiges Bilderbuch angesehen, über dessen Inhalt wir uns erst noch klar werden dürfen. Ich platze förmlich vor Eindrücken, will immer noch mehr wissen und werde wohl einfach noch eine Zeit lang brauchen, bis ich alles in meine inneren Schubladen sortiert habe.»
DAS SAGT WIN ÜBER JAPAN
«Für mich ist Japan ein wunderbares leicht zu bereisendes Land, das sich dem Außenstehenden nicht immer auf den ersten Blick erschließt. Hinter allem scheinbar Zufälligem steht eine Kunst und das Streben nach Perfektion. Ein Blumengebinde ist nicht nur ein Blumengebinde, eine Verbeugung nicht nur eine Verbeugung. Sekundengenau fahrende Züge, das sorgfältige Ablegen der Essstäbchen, das Binden des Obis – alles folgt einer präzisen Ordnung. Für mich als Beobachter ist das alles spannend, um täglich so zu leben, wäre mir der persönliche Freiraum vermutlich zu eng.»
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Liebe Petra, lieber Win,
was für ein Fest für die Sinne, auf das Ihr mich da mitgenommen habt. Es ist so liebevoll und fein im Detail beschrieben. Ja, fein, so wie Ihr als Menschen seid. <3
Danke für diese Ode an eine ferne Schönheit.
Seid mir von Herzen gegrüßt,
Eure Birgit
Liebe Birgit,
vielen Dank für deine wohlwollenden Gedanken. Wir melden uns bei dir.
Liebe Grüße,
Petra
Hallo ihr zwei Weltenbummler,
wie immer grandios geschrieben. Herzlichen Dank für die Eindrücke. Super Bilder.
Marion will ja auch seit längerem nach Japan. Vielleicht klappt´s ja mal.
Gruß
Ralf und Marion
Hi Marion & Ralf,
wie immer ein sehr nettes Kompliment von euch, danke!
Schnapp‘ dir deine Marion, lieber Ralf, und entführe sie doch einfach auf diese außergewöhnliche Insel, ihr werdet beide begeistert sein.
Bis bald und liebe Grüße,
Win & Petra
Liebe Frau Steeger,
welch großartige Reise! Ihr Bericht und die wunderbaren Fotos haben mich praktisch dorthin teleportiert und ich habe alles mit Ihnen miterlebt… Ich freue mich jetzt schon, mehr von Ihnen beiden zu lesen!
Herzliche Grüße,
Andrea
Liebe Andrea,
dass Sie sozusagen mit uns in Japan waren, finden wir herrlich. Vielen, vielen Dank für Ihren freudigen Zuspruch, das motiviert uns ungemein. Wir werden also weiter fleißig Erlebnisse sammeln, sobald wir wieder auf Achse sind.
Liebe Grüße von
Win & Petra
Liebe Petra, lieber Win,
Was ihr erlebt hat, sieht bezaubernd aus und klingt inspirierend!
Ich kann gut verstehen, dass die vielen Eindrücke und Freude-Momente noch ihre Ordnung im Kopf finden müssen…
Ich finde es beeindruckend, wie die Achtsamkeit auf kleine und große Dinge im japanischen Alltag von dir ebenso achtsam, wertschätzend und wortgewandt beschrieben wird – das Lesen hat mir sehr viel Spaß gemacht!
Viel Freude bei der nächsten Reise und erst einmal ein noch langes Zehren von dieser,
Liebe Grüße aus Dresden,
Paula
Liebe Paula,
kannst dir eigentlich vorstellen, wie sehr wir uns über deine schöne Nachricht freuen? Vielen Dank für dein dickes Kompliment (geht runter wie Öl). Wenn du Freude beim Lesen hattest, dann hat sich für uns ein Herzenswunsch erfüllt.
Wir wünschen dir weiterhin eine gute Zeit im wunderschönen Dresden, du Glückskind auf dem Einhorn
Lieben Dank von Herzen,
Win & Petra
Liebe Petra & Win,
vielen vielen Dank für den wunderbaren Reisebericht. Die Bilder sind der Hammer ;). Am tollsten finde ich das schöne Bild vom „sagenhaft schönen Anblick des Fujisan“. Mit euren Reiseerzählungen kann man sich die Welt auch von zu Hause aus bildhaft vorstellen. Also bitte fleißig weiterreisen!
Liebe Grüße – Barbara
Na gut, liebe Barbara, wenn du unbedingt willst, dann reisen wir halt weiter
Danke für dein dickes Lob. Wir freuen uns, wenn dir unser Reisebericht gefällt und wissen das sehr zu schätzen.
Liebe Grüße, Bussi und ein schönes Wochenende,
Win & Petra
Liebe Petra und Win,
Es freut mich das Ihr jetzt wirklich Japan besucht habt und das dies noch viel schöner war wie vermutlich vorher gedacht. Währens das lesen und anschauen der Bilder habe ich mich oft gedacht: „Ja, das stimmt, das passt zur Petra und Win und werden dies sicher voll geniessen. “ . übrigens hat mich auch diese ausführliche Beschreibung und die wunderbare Bilder bezaubert…. und habe ich länger gelesen und geguckt wie vorher gedacht. Danke !!
LGR Barbara
Liebe Barbara,
du bist so süß, danke! Ja, uns hat es wirklich sehr gut gefallen und wir haben unseren ganzen Ausflug total genossen. Toll, dass du den gaaaanzen Artikel gelesen hast und jetzt weißt, was wir in der letzten Zeit so alles gemacht haben.
Liebe Grüße nach Oranje,
XxXx Win & Petra
Liebe Petra und Win,
ich habe euere Reise in Bildern und Schrift gesehen. Das muss ja traumhaft gewesen sein, wauu!
Eueren Trak aber, hab ich nicht gesehen. Seid ja geflogen.
Liebe Grüße aus Taufkirchen,
Euer Toni Auer
Hallo, lieber Toni,
stimmt, unseren Truck haben wir zu Hause gelassen, weil wir uns erst einmal mit kleinem Gepäck auf der Insel umsehen wollten. Hast ja selbst auf dem Foto gesehen, wie niedlich ein Wohnmobil in Japan sein kann.
Schön, dass du sozusagen mit uns in Japan warst. Es war wirklich toll da.
Liebe Grüße zum Nemerberg,
Win & Petra
Hallo liebe Petra, hallo lieber Winni.
Ich freue mich, dass Ihr wieder gut Zuhause angekommen seid. Heute habe ich an Euch gedacht und schon gibt es Neuigkeiten .
Petra Deine Geschichten sind einfach genial.
Liebe Grüße – Christine
Liebe Christine,
wie schön, dass du an uns denkst. Wir denken auch an euch und freuen uns, wenn dir unsere Story gefällt. Danke
Liebe Grüße aus dem Nürnberger Süden
Petra & Win