Donnerstag, 7. März 2017 | Spanien – Andalusien, Sevilla | Petra
TÄLER SCHLUCHTEN BERGE
UNTERWEGS IM BILDERBUCH MAROKKO
Zwischen unseren beiden Wüstentrips nach Erg Chegaga und Erg Chebbi sind wir natürlich nicht untätig. Eine Woche lang touren wir durch die beeindruckenden Berglandschaften entlang des Oued Drâa in der Region zwischen Antiatlas und Hohem Atlas.
In den Bergen ist es noch kalt. Der Winter war dieses Jahr besonders streng. Aber jetzt ist der Frühling unübersehbar auf dem Weg. Wir können ihn schon riechen. Hier duftet Frühling so vertraut wie zu Hause in Deutschland.
GRÜNES DRÂA-TAL
Mit unserer wunderbar reparierten Batteriekonsole an Bord verlassen wir beschwingt M’Hamid in Richtung Zagora. Früher war Zagora eine Karawanenstation, heute wird sie ein Punkt auf unserer Route sein. Wir wollen durch das grüne Drâa-Tal nach Ouarzazate.
Die rote Feuerwehr hat derweil andere Pläne. Wir verabreden uns daher locker für demnächst irgendwo im Osten des Landes.
Das Drâa-Tal ist eine wunderschöne Flussoase. Über 200 Kilometer zieht sich das grüne fruchtbare Band mit großen Palmenplantagen durch die Landschaft. Wir fahren vorbei an hohen Bergmassiven, entdecken eindrucksvolle Kasbahs und traditionelle Lehmdörfer.
Zum Teil sind die Bauten aus Lehm hier wie überall im Land dem Verfall preisgegeben. Das ist bedauerlich, denn die Bauweise mit Stampflehm ist biologisches Bauen in Reinform.
Das Material kommt aus der Natur, ist immer ausreichend vor Ort verfügbar, hält im Winter die Räume warm und im Sommer kühl. Außerdem fügen sich die Gebäude optisch harmonisch in die Landschaft ein. Weil Stampflehm regelmäßig gepflegt und ausgebessert werden muss, bevorzugen mehr und mehr Marokkaner beim Hausbau Ziegelstein, Zement und kalten Beton.
Jeden Tag können wir in den Orten sehen wie Bauruinen aus Beton für die Ewigkeit als hässliche Trümmer in der Landschaft stehen bleiben. Stampflehmhäuser dagegen sind nach dem Verfall wieder Lehm. Ob jemals wieder ein Umdenken stattfinden wird?
Unsere Gedanken sollen uns aber nicht davon abhalten, die Schönheit der Gegend und ihre freundlichen Bewohner zu sehen. Überall entlang der Hauptstraße sind sie unterwegs. Männer sitzen in den Cafés, vor Läden oder Werkstätten. Frauen waschen Wäsche am Fluss, Schulkinder strömen nach Hause und Ziegen-Hirten grüßen uns im Vorbeifahren.
An jeder Polizeikontrolle werden wir höflich von den Beamten vorbei gewunken. Noch vor wenigen Jahren, erzählte uns Stefan einmal, wurden Touristen oft von der Polizei kontrolliert und gern wegen irgendeines (ausgedachten) Vergehens mit einem Bußgeld belegt. Mal hier 20 Euro, mal da 30 Euro. Eine lohnende Einnahmequelle für die private Tasche. Jetzt ist das ganz anders. Jede Polizeikontrolle – und die gibt es oft – winkt Touristen freundlich (oder desinteressiert) einfach durch. Alles ganz easy.
So sehen viele Kleinstädte in Marokko aus – wir haben keine Ahnung, wo wir dieses Foto gemacht haben

STATTLICHE KASBAH
In Ouarzazate, in der Region Drâa-Tafilalet, gönnen wir uns ein touristisches Kulturprogramm. Denn heute ist ein besonderer Tag. Seit sechs Monaten oder 183 Tagen sind wir nämlich jetzt in der Weltgeschichte unterwegs. Das fühlt sich ein bisschen wie Geburtstag an – feierlich eben.
Also machen wir uns ein Geschenk und laden uns selbst ein zur Besichtigung der Kasbah Taourirt. Sie ist zwar noch eine recht junge Burg und wurde erst im 20. Jahrhundert erbaut. Aber sie sieht interessant und marokkanisch aus. Wir möchten uns das Bauwerk alleine ansehen und nicht gegen Bares von einem selbsternannten Guide durch die Anlage geführt werden. Mutig schlagen wir also die Warnung des Guides „Darin ist es wie in einem Labyrinth. Sie werden sich verlaufen“, in den Wind.
Treppauf, treppab schlendern wir durch große und kleine Räume, erkunden verwinkelte Gänge und schieben uns gebückt durch niedrige Türöffnungen hindurch. Wir bestaunen bunte Wandbemalungen und die Ausblicke auf das alte Kasbah-Viertel unter uns.
Allen Unkenrufen zum Trotz finden wir wohlbehalten wieder aus dem historischen ‚Labyrinth‘ heraus. Jetzt haben wir eine genaue Vorstellung von einer solchen Festungsanlage aus Stampflehm.

GRANDIOSE SCHLUCHTEN
Es ist schon Nachmittag als wir Ouarzazate wieder verlassen. Rechts neben uns taucht der große Stausee Mansour Ad Dahbi auf und lockt uns an sein Ufer. Wir biegen auf eine sandige Piste ab und fahren vor auf eine Landzunge. Hier parken schon vier andere Wohnmobile weitläufig verstreut. Ist das nicht ein perfekter Platz, um hier die Nacht zu verbringen?
Das Weiterfahren verschieben wir einfach bequem auf morgen. Wir freuen uns sehr auf die Dades-Schlucht, von der wir schon so viel gehört haben.
Zu Recht verdient die Dades-Schlucht im Hohen Atlas das Prädikat ‚wertvoll‘. Wir fahren hinein in das sehenswerte Naturspektakel und sind beeindruckt von den Felsen, die links und rechts steil in den Himmel ragen. Über eng geschlungene Serpentinen kurvt unser dicker Truck kraftvoll immer weiter nach oben. Es wird zunehmend kühler und auf den runden rotbraunen Bergkuppen ganz oben liegt noch Schnee. Auch hier freuen sich die Bewohner in den kleinen Bergsiedlungen auf den Frühling und die wärmere Jahreszeit nach diesem langen, kalten Winter. Hier zu wandern ist im April oder Mai sicher herrlich. Jetzt ist es uns zu kalt. Oder sind wir in Wirklichkeit nur zu faul?!
Es ist sehr schade, dass wir die Bergstraße nicht fahren können, die Dades- und Todra-Schlucht miteinander verbindet. Sie muss wunderschön sein und wir hätten sie gern befahren. Für ein Fahrzeug unserer Größenordnung soll sie aber nicht passierbar sein. Das haben uns erst gestern wieder Leute erzählt, die sie schon erkundet haben. Es gibt zu viele Überhänge am Fels und sie ist nur einspurig. Na gut, dann nehmen wir morgen eben den schlichten Weg über die Nationalstraße.
Unser Besuch in der Todra-Schlucht ist schneller erledigt als wir es erwartet haben. Nur ein paar Kilometer fahren wir in die Schlucht hinein, um die berühmte Passage zu erreichen, die wir früher schon auf Fotos gesehen haben. Sehr viel weiter zieht es uns dann doch nicht.
Hübsch ist es hier, wenn auch sehr touristisch und nicht so einsam wie in der Dades-Schlucht. Zur Hauptsaison ist es bestimmt überfüllt. Schade, denn reizvoll ist der Ort. Das klare, kalte Wasser des Todra fließt schnell zwischen Felswand und Straße entlang. Und wenn bald alles blüht, sieht es sicher sehr schön aus. Ob wir nicht doch in die Wanderstiefel hüpfen sollten?
Am Stausee Barrage Al Mansour Ad Dahbi (was für ein unauffälliger Deckname) richten wir unser Nachtlager ein


Die mächtigen Felsen der Todra-Schlucht
OASE DER GASTFREUNDSCHAFT
In der Oase La Source Bleue de Meski wartet die Feuerwehr schon auf uns. Am Spätnachmittag treffen wir dort wie vereinbart bei Susanne und Stefan ein. Auf dem kleinen Campingplatz unter hohen Palmen versorgt uns Mohammad augenblicklich mit einem Kunststoffteppich für unseren Terrassenbereich als Schutz vor dem staubigen Boden. Natürlich ist er farblich abgestimmt auf unser Fahrzeug. Und Tee gebe es auch, lässt er uns wissen. „Aber kommt erst mal an und ruht euch aus. Wir sehen uns später“, sagt er in einwandfreiem Deutsch.
Mohammad betreibt hier einen Souvenirladen und er ist ein Phänomen. Nicht nur, dass er mehrere Fremdsprachen spricht. Der junge Mann kann sogar Bayerisch. Außerdem kennt er die Pistenkuh und er hat eine verblüffend große Ahnung von der Geografie Deutschlands. Wie viele seiner Landsleute versteht er es perfekt, auf die Bedürfnisse der europäischen Touristen einzugehen. Seine Gastfreundschaft ist beeindruckend und es ist nett, mit ihm zu quatschen. Abends spielt er mit Annsofian afrikanische Musik. Susanne tanzt hingebungsvoll, Win klatscht begeistert und ich begleite die Trommeln der beiden mit meinem improvisierten Rhythmusinstrument – Nudeln in einer Blechdose. Shake it, Baby!
Großzügig lädt Mohammad uns ein zu Couscous, gekocht von seiner Mama persönlich. Bald kommt es wie es kommen muss, und die Verkaufsgespräche werden eingeleitet. Für einen marokkanischen Webteppich kann er uns leider nicht begeistern, auch nicht für Schmuck oder eine Wolldecke. Wir brauchen nichts – gar nichts, Null, Nothing. Zum Glück hat Susanne Bedarf und investiert ein mittleres Dirham-Vermögen in farbenprächtige, handgewebte Wolldecken.
Auf dem Rückweg aus Erg Chebbi besuchen wir die Oase und Mohammad ein zweites Mal. Wieder sind wir zu Gast bei ihm. Es gibt eine köstliche Tajine, Brot und – ich falle fast vom Glauben ab – Rotwein! Jetzt sind wir endlich weichgekocht. Beim Angebot Arganöl, dem Gold Marokkos, kommen wir dann doch noch ins Geschäft und schließen den erfolgreichen Deal mit einer Runde Tee ab. Na also, geht doch!

Mohammad (links) und Annsofian teilen mit uns ihre Liebe zur Musik – das ist Afrikaaaa
HOHER UND MITTLERER ATLAS
Allmählich bewegen wir uns wieder Richtung Norden. Die Stadt Fès möchten wir besuchen und danach Marrakesch. Also wählen wir die Route über den Hohen und den Mittleren Atlas nach Fès. Im Hohen Atlas liegt noch Schnee, so dass wir auf eine Tour in den Bergen verzichten müssen.
Gut zwei Tage wollen wir uns Zeit lassen für die Anreise in die alte Stadt Fès. Das ist auch gut so, denn die Landschaft ist herrlich und verdient es, aufmerksam betrachtet zu werden.
Am frühen Nachmittag meldet sich der Hunger und wir finden abseits der Hauptstraße einen herrlichen Ort, an dem wir für uns lecker kochen. Mit Blick auf schneebedeckte Berge schneide ich Zwiebeln und Gemüse für eine schmackhafte Gemüse-Nudel-Suppe.
Es ist herrlich hier in der Sonne zu sitzen und genüsslich zu speisen. Gerade sind wir fertig mit dem Essen, als ein junger Mann ruhigen Schrittes von der Straße herauf kommt. Besuch, Schluss mit In-die-Landschaft-gucken!
Wir begrüßen ihn und fragen mit „La bas?“ nach dem werten Befinden.
Hassan heißt der junge Mann. Er möchte uns gerne zu sich nach Hause einladen. Tajine würde es geben. Und Tee. Da wir soeben gegessen haben, lehnen wir die Einladung mit Bedauern dankend ab. Gerne bieten wir stattdessen Hassan einen Kaffee an und laden ihn ein, bitte Platz zu nehmen.
Es ist unglaublich nett, wenn die Menschen hier Fremde zu sich einladen. Sie meinen es ehrlich und tun es gern. Nur leider wünschen wir uns ausgerechnet jetzt etwas mehr Ruhe, keine Gespräche, keine höflichen Konversationen. Einfach mal nur in die Landschaft schauen. Am Kaffee schlürfen. Wieder in die Landschaft schauen. Atmen. Schauen.
Also verschieben wir dieses beschauliche Szenario auf einen anderen Zeitpunkt und plaudern mit Hassan im Rahmen dessen, was unser aller Französischkenntnisse so hergeben. Auf Reisen heißt es flexibel zu sein.
Bald ist der Kaffee getrunken und wir deuten an, dass wir nun weiter möchten. Wir packen in aller Ruhe zusammen, ich mache noch ein Foto mit Win und Hassan. Wir verabschieden uns und verlassen, viel früher als wir es uns gewünscht hätten, diesen traumhaft schönen Ort.
Als wir im Fahrerhaus sitzen meint Win: „Ich glaube, das war der Hassan, von dem Stefan gestern erzählt hat. Sie hätten auch mit Blick auf schneebedeckte Berge irgendwo gestanden, als ein junger Mann sie besuchte, den sie dann nicht mehr losgeworden seien. Sie hätten schließlich fluchtartig den Platz verlassen.“
Wir amüsieren uns köstlich bei der Vorstellung, dass wir zeitversetzt genau die gleiche Situation am gleichen Ort erlebt haben könnten wie Susanne und Stefan ein paar Tage zuvor.
Tatsächlich bestätigt das Foto unseren Verdacht. Das ist der gleiche Hassan, am gleichen Ort, in der gleichen Situation. Wir vermuten, dass Hassan auf diese Art eine Frau zu finden hofft, die ihn mit nach Europa nimmt. Susanne gegenüber hatte er geäußert er würde auf keinen Fall eine Marokkanerin heiraten, viel lieber eine Französin. Na, dann wissen wir ja jetzt Bescheid.
Kurze Pause am Ziz-Stausee nördlich von Er-Rachidia

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einfach Atemberaubend!!!!!!Grandios!!!!
Danke, liebe Jeane und lieber Robert, für die Blumen! Wir freuen uns sehr darüber 🙂
Liebe Grüße von
Win & Petra