Freitag, 27. Januar 2017 | Marokko – Doukkala-Abda, Safi | Petra
VERWIRRT IN MAROKKO
EINE ANDERE WELT
Der plötzliche und heftige Wintereinbruch in Spanien liefert uns den entscheidenden Anlass für den Sprung hinüber auf den afrikanischen Kontinent in das Königreich Marokko. Die Tage davor an der Costa del Luz waren herrlich. Das wunderbar milde Wetter, die Sonne, der ungewöhnlich sanfte Atlantik ließen nicht vermuten, dass sich über Nacht der Winter mit Eiseskälte zu Wort melden würde. Marokko, wir kommen!
Einiges hatten wir vor unserem ersten Besuch in Marokko zur Reisevorbereitung zwar gelesen, aber nicht allzu viel. Schließlich wollten wir uns eine gewisse Unvoreingenommenheit bewahren. Entsprechend groß ist dann unsere Verwirrung.
Die ersten Tagen im Königreich Marokko fordern uns.

Die Sonne warm und der Atlantik ungewöhnlich sanft – die wunderschöne Costa de la Luz zwei Tage vor unserer Überfahrt nach Marokko

Die schöne Medina von Asilah
FREMD IN DER FREMDE
Die Umstellung auf die neue Optik, die neuen Gepflogenheiten, die neue Sprache, eben auf all das Ungewohnte ist für uns ziemlich groß. Theoretisch hatten wir ja eine ungefähre Vorstellung von dem, was uns erwarten könnte, es in der Praxis direkt zu erleben, ist dann doch eine eigene Sache. Ausnahmsweise sind wir eher ent- als be-geistert. Wir fühlen uns noch etwas fremd hier.
Ich frage mich, ob ich hier wirklich mehrere Wochen bleiben möchte. Das gebe ich nur ungern zu. Win glaubt, dass es besser wird, sobald wir landeinwärts reizvollere Landschaften erleben. Unsere Verwirrung ist jedenfalls groß.
In einem superschlauen Seminar haben wir uns einmal sagen lassen, dass Verwirrung gut ist. Denn dann beginnt das Gehirn munter zu werden und die Synapsen starten eifrig Neuverknüpfungen. Das ermögliche Veränderung – hmmmh.
Aber alles hübsch der Reihe nach erzählt:
Wir fahren mit der Fähre von Algeciras nach Tanger Med. Ticket, Einreisepapiere und eine große Portion Neugier, auf das, was vor uns liegt, haben wir im Gepäck. Eine knappe Stunde dauert die Überfahrt und so zügig wie wir an Bord kommen, kommen wir auch fast (!) wieder runter. Fast – aber das ist eine andere Geschichte und die erzählen wir zu einem besseren Zeitpunkt.
Also, die Zollabfertigung geht schnell von statten und wir kommen zügig auf die beinahe leere Autobahn. Zielstrebig fahren wir knapp 80 Kilometer Richtung Süden, vorbei an Schafen, Ziegen, Flamingos, Rindern, Eseln, Kamelen und Fußgängern in die kleine Stadt Asilah mit ihrer bezaubernden Altstadt. Dort stellen wir uns auf einem bewachten Parkplatz am Hafen ab und werden innerhalb der ersten Minuten versorgt mit allerlei Offerten. Von der fragwürdigen Internetkarte über Schuheputzen und süßes Gebäck bis hin zu der fordernden Bitte um Kleidung, Bier oder Alkohol oder 10 Dirham für einen Kaffee ist alles dabei. Manche Angebote sind wirklich hilfreich, wie die des feinen Gebäcks von dem sympathischen Bäcker im Ort. Die Internetkarte dagegen besorgen wir uns lieber im offiziellen Shop der Maroc Telecom.
Die Altstadt von Asilah ist reizend und sie bezirzt uns mit ihrem wunderschönen Spätnachmittaglicht. Ebenso bezirzt uns auf unserem Spaziergang ungefragt einer unserer vielen besten Freunde vom Parkplatz. Ausgiebig erklärt er uns, was wir gerade sehen, damit wir ihm später wohlverdient ein paar Dirham für seine Reiseführertätigkeit schuldig sind. Welcome to Morocco!
Schnell ist uns klar, dass wir eine Eingewöhnungsphase brauchen werden, um mit Marokko Schwingung aufnehmen zu können.
BUNTES TREIBEN IM SOUK
In Rabat und Salé, den beiden nur durch den Fluss Bouregreg getrennten Städte, kommen wir dann so allmählich an in unserer neuen Wirklichkeit.
Wobei uns natürlich bewusst ist, dass Rabat die Hauptstadt des Königreichs ist – groß, lebendig, mehr als sicher, traditionell und modern. Schicke Verkaufstempel renommierter Automarken gibt es hier ebenso wie Kinder, die für ein paar Dirham ein Päckchen Papiertaschentücher oder Kaugummi zu verkaufen versuchen. An der Ampel begegnen sich die teure Großraumlimousine und der traditionelle Eselskarren. Hier studieren die künftigen Leistungsträger des Landes und hier gibt es Menschen, die weder lesen noch schreiben können.
Mit der hochmodernen Straßenbahn der Linie 1 und 2 fahren wir kreuz und quer durch Rabat. Ein bisschen ist das wie Fernsehschauen. Wir beobachten wie draußen auf den Straßen das Leben der anderen stattfindet. Die Geschichten dazu denken wir uns aus.
Die Souks von Rabat und Salé schenken uns intensive Eindrücke über Shopping auf marokkanisch. Wir lassen uns hineinziehen in die verwinkelten Gassen, die beinahe überquellen vor Waren. Lebensmittel, Gewürze, Kleidung, Kosmetik, Alltagsgegenstände, Möbel, Kunsthandwerk und Schnickschnack – hier gibt es einfach alles. Touristen werden hier ebenso fündig wie die Hausfrauen, die für ihre Familien vernünftiges Essen auf den Tisch bringen wollen. Es ist schön, in Ruhe schauen und staunen zu können. Niemand quatscht uns an oder will uns etwas aufdrängen. Wir freuen uns über die freundlichen neugierigen Blicke, wenn wir lächelnd mit „Salaam!“ grüßen. Bei frisch gebackenen Keksen, herrlich mürbe mit einer leichten Note von Anis, werden wir schließlich schwach und kaufen eine Tüte für 10 Dirham (1 Euro).
Am Rande der Souks werden Gebrauchtwaren angeboten. Die Ärmsten der Armen verkaufen und kaufen hier zwischen Abfällen und matschigen Pfützen. Katzen schleichen umher auf der Suche nach Fressbarem. Der Metallbauer hämmert, der Schreiner schnitzt, um die Ecke sitzt der Schneider an der Nähmaschine und verarbeitet ein Stück Stoff für seine Kundin. Geschäftigkeit ohne Hektik.
Weil wir uns für das hiesige Streetfood noch nicht richtig begeistern können, gönnen wir uns am Abend einen Besuch in einem marokkanischen Restaurant, wo wir landestypische Spezialitäten wie Tajine (Schmorgericht aus Fleisch und Gemüse) und Brochette (Fleischspieße) kosten. Dazu trinken wir Wasser und frischen, süßen Minzetee. Hmmmh, lecker!

Früh am Morgen in Rabat
HORIZONT ERWEITERN
Am nächsten Tag verlassen wir das quirlige Zentrum von Rabat und fahren rund 190 Kilometer weiter an der Küste in südlicher Richtung nach El Jadida.
Weil die Gegend landschaftlich nicht so sehr reizvoll ist, wählen wir den schnelleren Weg auf der Autobahn. Die sieht so aus wie Autobahnen bei uns auch. Allerdings kommt es oft genug vor, dass Fußgänger auf der Standspur oder quer über die vier Fahrspuren laufen und (meistens) hinter den Leitplanken Schafherden oder Esel spazieren. Wir fahren an modernen Wohnblocks vorbei, vor denen Schafe oder Esel grasen und Jungs Fußball spielen. Sie scheinen offenbar motiviert durch den 2017 Africa Cup of Nations, der gerade auf dem Kontinent stattfindet. Ein paar Meter weiter wohnen Menschen in Hütten aus Plastikfolie und Schilf. Die bunte Wäsche hängt hier und da zum Trocknen auf der Leine.
Jungs winken uns freudig vom Straßenrand zu. In den Städten bekommen wir ab und zu ein kurzes Hupen und den Like-Daumen zum Gruß. Lächelnde Gesichter sagen uns hier sind wir willkommen.
In El Jadida, der hübschen kleinen Hafenstadt, parken wir unseren Truck direkt in der Altstadt an der Festungsmauer der Cité Portugaise. Im 15. Jahrhundert wurde hier von den Portugiesen, auf ihrem Seeweg nach Indien, ein Stützpunkt errichtet. Wir schlendern durch die alte Festungsanlage. Die Attraktion Citerne Portugaise, eine beeindruckende Zisterne (Wasserspeicher), die ursprünglich als Waffenlager angelegt war, hat leider geschlossen. Schade!
Heute fühlen wir uns schon so „aklimatisiert“, dass wir am Souk in El Jadida an einem Straßenstand gebratene Sardinen mit Brot, Zwiebeln und würzigen Soßen essen. Wir kaufen frisches Gemüse und Brot für unseren Vorrat. Der Eingewöhnungsprozess nimmt konkrete Formen an und zeigt erste Erfolge.
Wir fangen an, die krassen Gegensätze zu akzeptieren, über die wir anfangs so erschrocken waren. Uns wird bewusst, wie einseitig unsere Vorstellungen sind. Mit unseren Maßstäben zu denken oder gar zu werten ist unsinnig. Es ist höchste Zeit, unsere gewohnte europäische Sichtweise zu ändern und unseren Blick weiter zu machen. Wir lernen dazu.

Cité Portugaise in El Jadida
VERHANDLUNGSSACHE
Auf der Küstenstraße nach Oualidia, unserem nächsten Ziel, geht es gemütlicher zu als auf der Autobahn. Kleinste Ortschaften mit einem einfachen Café oder einer Werkstatt, einem winzigen Laden oder einer Bushaltestelle liegen gelegentlich links oder rechts der Landstraße. Esel knabbern am Straßenrand am Gras, Kühe stehen in der Landschaft herum und manchmal hockt jemand mitten im Nichts, der auf die Tiere aufpasst oder scheinbar einfach nur da sitzt.
Wir kommen vorbei an Gemüsefeldern, auf denen die Ware erntefrisch für den Markt gepackt wird. Der eine oder andere Bauer hat am Straßenrand einen Verkaufsstand aus Schilf aufgebaut und bietet direkt vom Feld Kürbisse, Blumenkohl, Karotten oder Zwiebeln an. Alles geht seinen Gang.
Mit unseren Freunden von der Feuerwehr haben wir uns nach Rabat lose verabredet für unser nächstes Treffen. Mehr braucht es offenbar auch nicht, denn es dauert nicht lange, bis vor uns auf der Landstraße das feuerrote Mobil auftaucht. Gemeinsam tuckern wir weiter bis zum Ziel. In Oualidia treffen wir auf einen Fischer, der uns eigentlich nur zu einem überteuerten Preis seinen Fisch verkaufen möchte. Stattdessen zeigt er uns nach ein bisschen Plauderei einen schönen Platz direkt am Strand. Den Fisch bekommen wir schließlich zu einem für beide Seiten angemessenen Preis, dank Susannes zähem Verhandlungsgeschick.
Überhaupt ist in Marokko im Vorteil, wer gut Handeln kann. Denn Handeln und Feilschen gehören hier, anders als in Deutschland, zum guten Verkaufsgespräch dazu. Einfach nur aussuchen und bezahlen funktioniert nur für den, der bereit ist, einen völlig utopischen Preis zu bezahlen. Susanne hat uns also gerettet.
Wir genießen den schönen Abend mit leckerem Fisch und frischem Gemüse und den wild rauschenden Wellen des Atlantik.

An diesem Ort lässt es sich gut aushalten
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Hallo Ihr Zwei,
Es ist immer schön von Euch zu hören, lesen,es sind wie immer super schöne Bilder die Lust machen selber wieder aufzubrechen und nach neuen Ufern zu suchen! Die bilder Vom Souk in Rabatt haben mich an eine Reise erinnert, die ich mit meinen Eltern gemacht habe als ich 15 Jahre alt war! Eine Weile her ! Ich kann mich aber erinnern das es viel mehr Menschen hatte auf dem Souk und es für mich wie eine Wundertüte war in diesem Labyrinth umherzuwandern!
Liebe grüsse und noch ganz viele gute Begegnungen wünschen Euch Gabi und Peter
Liebe Gabi, lieber Peter,
wir freuen uns auch immer wieder von euch Nachrichten zu bekommen. Vielen Dank!
Tatsächlich sind im Souk, genau so wie du sagst, viele Menschen unterwegs, je nach Tageszeit. Mit dem Fotografieren halte ich mich meist etwas zurück, weil nicht jeder es akzeptiert (aus religiösen Gründen). Es geht lebhaft zu, bunt ist es, es duftet herrlich nach Gewürzen und Kräutern (manchmal duftet es weniger idyllisch) und die Stimmung ist sehr freundlich. Ein echtes Erlebnis und in der Tat wie eine Wundertüte!
Wir denken an euch und senden ein herzliches „Salaam!“ und bis bald,
Win & Petra
Hallo Petra, Hallo Win,
freue mich über Gabi von euch zu hören und lese mit Begeisterung von euren Reisefortschritten. Petra, vielleicht kannst du mich in den Verteiler aufnehmen. Wünsche euch weiterhin eine gute Reise und die Aufnahme von vielen neuen Einrücken,
liebe Grüße aus dem kalten Deutschland (habe Pflegedienst) ,
Reinhold
Hallo Reinhold,
was für eine Überraschung, wie schön, dass du dich meldest! Danke für die guten Wünsche.
Gern habe ich dich in den Newsletter-Verteiler aufgenommen.
Viele Grüße in die Heimat und viel Erfolg bei der Pflege!
Win & Petra
Das ist wieder ein sehr stimmungsvoller Bericht – gelesen im immer noch kalten Franken – danke. Bei der so schönen Reisebeschreibung kommt da etwas Fernweh auf und die Bilder ??? gleichzeitig im Bild die Beschreibung – einfach sehr schön.
Weiterhin viel Spaß und Freude und so kann ich auf diesem Weg aus Franken liebe Grüße nach Afrika schicken – Günter
Lieber Günter,
vielen Dank für deine schöne Nachricht. Internet ist schon eine feine Sache, wenn wir so nah sein können, obwohl so viel Kilometer dazwischen liegen.
Da schrumpft die Welt doch fast zu einem Dorf. Wir schicken wärmende Sonnenstrahlen, sobald die Wolken wieder weitergezogen sind.
Liebe Grüße nach Franken senden
Win & Petra
Wir sind begeistert!! Eine spannende Zeit und immer genug Luft in den Reifen. Glg und Drückerle
Danke, ihr beiden Weltenbummler. Wir vermissen euch und hoffen euch geht es gut, da wo ihr gerade seid.
Liebe Grüße und große Gruppenumarmung.
Win & Petra